Fachbeitrag

Vorbildliche Reaktivierung Kraftwerk Schattenhalb 2

Das 1926 erstellte Hochdruckwasserkraftwerk Schattenhalb 2 versorgte die Region Meiringen-Hasliberg-Brienzersee viele Jahrzehnte zuverlässig mit sauberem Strom. Nach der Zusammenlegung von zwei Fallstufen zu einer einzigen wurde die Anlage im Jahre 2010 ausser Betrieb genommen. Nach der Stilllegung war der Abbruch vorgesehen.

Seither kämpft eine Gruppe Gleichgesinnter beharrlich für die betriebsfähige Reaktivierung – in enger Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege des Kantons Bern. Ganz vorne dabei ist der Oltner Kulturgutschützer Pascal Troller, welcher rund 1 Million Franken an die umfassende Instandsetzung gesichert hat. Was noch fehlt, ist eine Wassernutzungskonzession, denn nur die Einnahmen aus dem Stromverkauf werden einen nachhaltigen Museumsbetrieb in diesem Kulturdenkmal von nationaler Bedeutung möglich machen.

Geschichte

Geburtshelfer für das erste Schattenhalb-Kraftwerk war die 1897 erteilte Konzession für den Bau der Grossen Scheideggbahn von Meiringen nach Grindelwald sowie die Idee einer Bahnverbindung von Meiringen durch die Grimsel nach Oberwald im Wallis. Das Kraftwerk Schattenhalb sollte Strom für diese Bahnen liefern. So nahm das Kraftwerk Schattenhalb 1 im Jahre 1909 den Betrieb auf. Aber die Grosse Scheidegg-Bahn wurde nicht gebaut und auch die Bahnverbindung ins Wallis nicht verwirklicht – obei letzteres Projekt seit einigen Jahren wieder Aufwind erhalten hat.

Im Jahre 1916 wurde die Elektrowerke Reichenbach AG gegründet und 1917 das Kraftwerk Schattenhalb 1 übernommen. Nach dem 1. Weltkrieg nahm der Stromverbrauch auch in den kleineren Dörfern und der Landwirtschaft stark zu, so dass man 1926 das Werk Schattenhalb 2 mit einem Tagesspeicher im Zwirgi errichtete. 1994 wurden die Elektrowerke Reichenbach Frey & Cie. in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und die Betriebsführung an die Bernischen Kraftwerke AG übertragen. 2000 übernahmen die BKW Energie AG das Unternehmen und führten dieses vorerst als EWR Energie AG fort, die dann 2016 durch Fusion in die BKW Energie AG integriert wurde.

Die zweistufige Anlage lieferte bis weit nach der Jahrtausendwende zuverlässig Strom, ohne dass grössere technische Anpassungen vorgenommen werden mussten. 2010 wurde das neue Kraftwerk Schattenhalb 3 eröffnet, das die beiden Fallstufen vereinigt. Die obere Stufe, das Kraftwerk Schattenhalb 2 wurde darum stillgelegt. Die untere Stufe, das Kraftwerk Schattenhalb 1 wurde von 2015 bis 2017 vollständig erneuert. Dabei dachte man auch an den Abbruch des Kraftwerks Schattenhalb 2, weil eine Bauseilbahn bereits zur Verfügung stand.

Mit der Gründung der Stiftung Kraft & Wasser, die das Kraftwerk Schattenhalb 2 Ende 2016 übernommen hat, wurde das Vorhaben aufgegeben – im Gegenteil soll der Nachwelt ein Zeuge schweizerischer Industriekultur von nationaler Bedeutung erhalten bleiben.

Kraftwerk Schattenhalb 2 kurz nach dem Bau 1926.
Stiftung Kraft & Wasser

Situationsplan der drei Kraftwerksanlagen am Reichenbach.
Stiftung Kraft & Wasser

Bestehende Anlage Schattenhalb 2

Das Triebwasser für das Kraftwerk Schattenhalb 2 wurde oberhalb der Reichenbachfälle im Staubecken Zwirgi zurückgehalten und über eine rund 500 Meter lange Druckleitung der Zentrale zugeführt, die sich in exponierter Hanglage auf rund 817 m ü. M. nahe am Trassee der Reichenbachfall-Bahn (Standseilbahn) befindet, welche die einzige Verkehrsverbindung ist abgesehen von einem Wanderweg. Staumauer und Wasserfassung werden durch das 2010 in Betrieb genommene Kraftwerk Schattenhalb 3 weitergenutzt. Das Stauziel liegt bei maximal 998.5 m ü. M.

Bei beiden Turbinen handelt es sich um eindüsige Pelton-Maschinen mit horizontaler Wellenlage. Die 3-phasigen Synchrongeneratoren sind direkt gekoppelt, verfügen allerdings über unterschiedliche Ausgangsspannungen. Neben dem Maschinensaal sind auf gleicher Ebene die Räumlichkeiten für die Schaltanlage, Werkstatt und Lager. Im Obergeschoss befinden sich die ehemaligen Wohnräume des Betriebspersonals. Im Untergeschoss wurde nachträglich eine Transformatorenstation angebaut. Das turbinierte Wasser wurde im Unterwasserkanal dem Wasserschloss des Kraftwerks Schattenhalb 1 zugeführt oder über einen Bypass in den Reichenbach geleitet.

Die Erneuerung des Kraftwerkes Schattenhalb 1 unterbrach den Unterwasserkanal und auch in der Drosselklappenkammer beim Staubecken Zwirgi wurden die neuen Anlageteile von den alten getrennt.

Die Maschinistenwohnung

Die Zentrale, als obere Stufe an schöner Aussichtslage, verfügt über eine Maschinistenwohnung, die bis anfangs der Achzigerjahre des letzten Jahrhunderts bewohnt war. Nach sanfter Renovation und authentischer Möblierung wird sie dem Besucher des Museumskraftwerks offen stehen.

Reaktivierung

Die Kraftwerksanlage soll nach der Instandsetzung und diversen Anpassungen in der ursprünglichen Auslegung, aber mit geringerer Produktion wieder in Betrieb genommen werden. Es sind keine geologischen, technischen oder betrieblichen Probleme der alten Anlage bekannt, die eine Wiederinbetriebnahme in Frage stellen. Die Wasserentnahme erfolgt so, dass die Schönheit des Reichenbachfalls nicht beeinträchtigt wird. Wie Fachleute des Tourismus und der Museumspädagogik bestätigen, ist der tatsächliche Betrieb zur  Stromerzeugung des reaktivierten Wasserkraftwerks ein wesentlicher Punkt, damit die Anlage auch langfristig als Museum bestehen kann.

Ökologie und Landschaftsästhetik
Die Reaktivierung des Kraftwerks Schattenhalb 2 erfordert keine neuen Eingriffe in die Natur. Dank einem nachhaltigen und entsprechend eingeschränkten Betriebsregime wird die Wassernutzung keinerlei wahrnehmbare Auswirkungen auf den Reichenbachfall haben. Auch aus ökologischer Sicht ist die Entnahme von Überschusswasser in Zeiten mit starker Wasserführung unbedenklich.

Wasserfassung und Druckleitung
Das Staubecken Zwirgi und die ersten Meter der Druckleitung des BKW-Kraftwerks Schattenhalb 3 können mitbenützt werden. In der Drosselklappenkammer soll eine neue Abzweigung von der Druckleitung zur Zentrale Schattenhalb 3 erstellt werden. Weiter wird eine Sicherheitsdrosselklappe mit Staupendel und Belüftung für das Werk Schattenhalb 2 montiert. Nach gezielten Massnahmen an der Druckleitung kann der grösste Teil der ursprünglichen Rohrleitung wiederverwendet werden.

Über das Staubecken Zwirgi wird das Wasser für die beiden Kraftwerke Schattenhalb 2 und 3 entnommen.
Stiftung Kraft & Wasser

Bau der Druckleitung um 1925/26. Diese besteht aus Graugussrohren von 5 Metern Länge mit einem Nenndurchmesser von 600 mm. Zwischen den Muffen ist jedes Rohr auf drei schalenförmigen Sockeln gelagert.
Stiftung Kraft & Wasser

Schalttableau von 1926.
Stiftung Kraft & Wasser

Instandsetzungskosten
Die Gesamtkosten der vorgängig aufgelisteten Instandsetzungsarbeiten für das Kraftwerk Schattenhalb 2 belaufen sich auf etwa 2,2 Mio. Franken. Die Trägerschaft Stiftung Kraft & Wasser erbringt Eigenleistungen in der Höhe von 140 000 Franken. Der mit 1,2 Millionen Franken grösste Teil sind durch ein Bankdarlehen gedeckte Fremdmittel. Etwa 300 000 Franken werden vom Kanton Bern beigesteuert, die Gemeinden zahlen 30 000 Franken ans Projekt, und der Rest der Fremdmittel kommt von weiteren Stiftungen und privaten Spendern.

Entscheidende Wassernutzungskonzession
Das Bankdarlehen soll mit Beiträgen aus der Stromerzeugung des Museum-Kraftwerks refinanziert werden. Dafür ist jedoch eine Wassernutzungskonzession unabdingbar. Wie üblich, gibt es auch hier eine Opposition, die dem Vorhaben eine substantielle Beeinträchtigung des Reichenbachfalls vorwirft. Es liegt jedoch im Interesse der Allgemeinheit, dass der Kanton Bern ein Kulturdenkmal von nationaler Bedeutung erhält und dieses öffentlich zugänglich ist. Darum stehen auch der Heimatschutz und die Denkmalpflege hinter diesem Projekt.

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Mit der Realisierung des Projekts Kraftwerk Schattenhalb 2 bleibt den nachfolgenden Generationen unseres Landes ein Kulturdenkmal von nationaler Bedeutung erhalten, zudem werden auch der Tourismus und die umweltfreundliche Stromerzeugung nachhaltig gefördert.

Quelle:
Stiftung Kraft & Wasser
Schattenhalb
c/o Simon Weiss
Murtenstrasse 41, 3008 Bern